“Wir brauchen heute neue Lösungen” – Prof Dr. Andreas Holzem im Interview über pastorale Evaluation
Prof. Dr. Andreas Holzem ist Professor (C4) für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Zudem ist er Referent auf unserem zap:evaluationskongress vom 11. bis 13. Oktober 2021 mit seinem Vortrag “Von der karolingischen Renovatio zum Pastoraldiskurs der Aufklärung – Kriterien für pastorale Evaluation in kirchenhistorischer Perspektive". Grund genug also Prof. Holzem zu einem Interview einzuladen: über pastorale Evaluation und die historischen Problemlösungen der Kirche.
zap: Warum wird pastorale Evaluation in manchen Teilen der Kirche negativ gesehen?
Man muss sich dann einer wenn nicht Erfolgs-, dann doch Resonanzkontrolle unterwerfen. Man muss sich fragen lassen und dann selbst fragen: Ist das, was wir hier tun, wirklich relevant? Und für wen? Diese ernsthafte Resonanzkontrolle könnte ans Licht bringen – hat in Corona-Monaten ans Licht gebracht -, dass die selbstverständliche Deutungsmacht ebenso passé ist wie die Glaubwürdigkeit, die man sich selbst zugeschrieben hat.
In Ihrem Kongress-Statement sagen Sie: Gegenwärtig leidet die Kirche unter erheblichen Mängeln der Qualitätskontrolle und –sicherung. Wo sehen Sie die Mängel am deutlichsten?
Zwei Bereiche: Ich arbeite seit einigen Monaten zum Thema „Gott in der Krise“ (vgl. Podcast und weitere Folgen). Das religiöse Sprechen der Großkirchen, die ‚Verkündigung‘, ist vielfach – nicht überall, na klar – inhaltlich leer, wenig problembewusst, vermeidet die harten Themen, findet in liturgischen Formaten statt, die kaum einer mehr ansprechend findet. Was sich in der Corona-Krise durch priesterzentrierte Fernseh- und Digital-Formate verschärft hat. Deren Sprache offenbar nicht mal die verstehen, die sie sprechen. Unsere religiöse Sprache und Performance leidet unter massiven Qualitätsmängeln. Die allermeisten guten Angebote waren Initiativen bottom-up. Top-down ist es oft nicht einmal gelungen, Best Practice-Beispiele transparent und unterstützend zu vernetzen. Das offenbart auch erhebliche Schwächen im Bereich digitaler Kommunikation.
Während der letzten Monate haben die caritativen Einrichtungen der Kirche getan, was sie konnten, bis zur Erschöpfung. Aber das sind große Institutionen und Apparate. Christliche Gemeinschaften gleich welchen Typs müssen wieder als hilfreiche Solidargemeinschaften erlebbar werden.
Ein spannender Satz von Ihnen: „In dieser Lage ist die Kirche nicht zum ersten Mal.“ Mit welcher historischen Lage ist die derzeitige zu vergleichen?
Am ehesten mit der Reformation. Sprache, Funktionsweise, systemische Strukturen der Kirche um 1500 zeigten ein enormes, reformresistentes Beharrungsvermögen, obwohl der Reformdruck offenkundig war. Die „Instrumente“ der Reform(ation) waren aber bottom-up längst bereitgestellt und hätten nur genutzt werden müssen. So entluden sie sich in einen unfruchtbaren, opferreichen Konflikt und in eine Kirchenspaltung. Die heutige Kirchenspaltung geschieht auf kaltem Wege: Menschen wenden sich empört oder frustriert ab, aber es wächst strukturell nichts Neues. Die Kirchen der Reformation sind keine wirkliche Alternative mehr, leiden an ähnlicher Auszehrung.
Aber: Ähnliche, allerdings partielle Dysfunktionalitäten sehen wir im 8./9. Jahrhundert in der karolingischen Reform, im 11./12. Jahrhundert mit dem Katharismus und den Waldensern, im 19. Jahrhundert mit der scharfen Wendung gegen die Moderne, obwohl der Ultramontanismus ab ca. 1850 auf verschiedenen Ebenen enorm gut funktioniert…
Daran anschließend: Können die Lösungen damals Inspirationsquelle für heute sein?
Nein, ich glaube, dass wir heute neue Lösungen brauchen: kritische biblische Re-Formation, sehr viel Traditionsballast abwerfen, Pluralität zulassen, die Welt zum Ort des Christentums machen, nicht die Kirche.
Wir danken Ihnen vielmals für dieses Interview, Prof. Holzem.
Das zap, Prof. Holzem und viele weitere anerkannte Expert:innen werden vom 11. bis 13. Oktober 2021 beim zap:evaluationskongress in Bochum über pastorale Evaluation referieren und diskutieren. Auch Sie können dabei sein – entweder vor Ort in Bochum oder digital. Alle Informationen und die Anmeldung finden Sie auf der offiziellen Kongresseite.