Die zap:leiter Prof. Dr. Andreas Henkelmann und Björn Szymanowski Mag. Theol. haben das Kolloquium „Macht mal faktisch!“ veranstaltet. Wie bei den Vorgängerveranstaltungen trafen sich Expert:innen aus (Kirchen)Geschichte und Pastoraltheologie, und zwar diesmal, um über Macht in Kirche und Katholizismus zu diskutieren. Das Besondere: Im Fokus steht nicht allein die formelle Amtsgewalt. Die Expert:innen werfen Licht auf das Dunkel von informellen kirchlichen Machtverhältnissen, die nicht weniger wirksam sind: Welche Macht resultiert aus persönlichen Beziehungen, aus der Verfügung über Ressourcen oder der Mobilisierung von Öffentlichkeit? Und was lernt daraus eine Kirche, die sich der Reform von Macht verschrieben hat? Im Interview sprechen die Veranstalter über das Format und die Erkenntnisse aus dem dritten Treffen.
Andreas Henkelmann (AH): Insofern nicht ganz einfach zu beantworten, weil innerhalb der Fächer sehr unterschiedliche Zugänge nebeneinanderstehen oder miteinander konkurrieren. Das wurde auch im Kolloquium deutlich. Für einige Kirchenhistoriker ist die Pastoraltheologie deshalb ein Randthema, weil sie vor allem auf allgemeine Geschichtswissenschaft bzw. die Kulturwissenschaft als Referenzgrößen schauen, für andere dagegen, wie mich, ist die Pastoraltheologie allein deshalb wichtig, weil sie die Kirchengeschichte weiterhin als theologisches Fach verstehen und daher reicht es nicht aus, ausschließlich auf die Geschichtswissenschaften zu schauen. Zum Lernprozess: Im Kolloquium war sicherlich auffällig, dass beide Fächer sowohl analytische als auch normative Anteile haben, wenn auch die Gewichtung unterschiedlich ausfällt, die Geschichtswissenschaft ist deutlich analytischer als normativ unterwegs, bei vielen Pastoraltheologien ist es anders herum.
Björn Szymanowski (BS): Pastoraltheologie und Kirchengeschichte haben bisher recht wenig miteinander zu tun. Das liegt auch an den Fachverständnissen. Im Kolloquium haben wir gelernt, wie vielfältig der Zugriff auf Wirklichkeit selbst innerhalb eines Faches ist. Man darf es sich nicht zu einfach machen: Kirchengeschichte ist nicht bloß der Speicher guter, aber vergessener Ideen für die Pastoraltheologie. Was die Fächer in jedem Fall verbindet, sind die Themen. Das haben wir am Beispiel der Macht illustriert. Und hier wird es spannend und liegt der große Gewinn dieser Interdisziplinarität: Pastoraltheologische und kirchengeschichtliche Referate haben sich wechselseitig in ihren Perspektiven ergänzt. Wir sind so in Schichten vorgedrungen, die ein Fach alleine gar nicht erreicht hätte.
AH: Die erste Ausgabe fand in Tübingen am 4. und 5. April 2019 statt. Organisiert wurde die Veranstaltung von Daniela Blum, Florian Bock, Teresa Schweighofer und mir. Die zweite Ausgabe fand in Bochum statt. Wir trafen uns vom 11 bis 12.März 2020, ebenfalls organisiert von Daniela Blum, Florian Bock, Teresa Schweighofer, Andreas Henkelmann und Björn Szymanowski. Der Anlass für die erste Ausgabe war das Gefühl und die Erkenntnis, dass die sich beiden Fächer – Kirchengeschichte und Pastoraltheologie – durchaus etwas zu sagen haben, aber dies nicht tun, sondern faktisch in zwei verschiedenen Welten bzw. Gesprächsblasen existieren, vor allem vor dem Hintergrund der Erfahrungen von CrossingOver* und dem zap.
(* CrossingOver ist ein Projekt zur Förderung des Dialogs über Katholische Kirche und Gemeindeleben in den USA und Deutschland.)
Bei der ersten Ausgabe standen vor allem das Kennenlernen und die Diskussion über das Selbstverständnis der beiden Fächer, im Vordergrund. Das Thema der zweiten Ausgabe war „Kirche als erzählte Geschichte – Kirchenbilder und das Ende der großen Erzählungen“.
AH: Nach meiner Einschätzung haben sowohl Pastoraltheologie als auch Kirchengeschichte das Thema jahrzehntelang schleifen lassen bzw. ausschließlich kirchenjuristisch behandelt. Oder aber – das ist ebenfalls ein typischer pastoraltheologischer Zugang – das Thema verteufelt, indem Macht als grundsätzlich negativ angesehen wurde. Macht ist etwas, was ausschließlich als unterdrückend wahrgenommen wurde. Bei der Kirchengeschichte fällt auf, dass das Thema natürlich implizit immer dabei war, aber selten explizit benannt und analysiert wurde. Mit Blick auf den Begriff und das Kolloquium ist deutlich geworden, dass sowohl Kirchenhistoriker:innen als auch Pastoraltheolog:innen auf die gleichen soziologischen Klassiker zurückgreifen, um Macht zu verstehen, vor allem Foucault und Bourdieu waren hoch im Kurs. Das heißt: Es gibt gemeinsame Zugänge zum Begriff, das hat ganz gut funktioniert.
AH: Ein klassisches Beispiel für informelle Machtgefüge war – und ist es bis zu einem gewissen Grad immer noch – die Besetzung der Stelle des Generalvikars. Die Stelle wird nicht ausgeschrieben, das Besetzungsverfahren ist vollkommen intransparent und doch recht einfach zu erklären, denn die Stelle wird handverlesen durch den Bischof besetzt.
BS: Bei der Frage nach informeller Macht geht es immer auch um die theologische Würde derjenigen, die – noch – nicht an formeller Macht partizipieren. Oft wird den sogenannten Lai:innen in Kirche nur Ohnmacht attestiert. Das mag aus kirchenrechtlich-amtstheologischer Perspektive in weiten Teilen stimmen. Das ändert sich aber, wenn wir die Perspektive wechseln: Schaut man auf faktische Machtverhältnisse in der Kirche, treten informellere Formen von Macht zutage, die auch Lai:innen ausüben. Das mag nicht unbedingt zufriedenstellen, aber man vollzieht doch einen wichtigen Perspektivwechsel: Von der behaupteten Ohnmacht zur erkannten informellen Macht. Das kann dann ins Handeln führen.
AH: Einerseits liegt mit Blick auf den Synodalen Weg viel auf dem Tisch. Andererseits hat das Kolloquium doch deutlich werden lassen, dass ein Blick vor allem auf die Amtsgewalt in der Gefahr der Einseitigkeit steht. Sehr wichtig ist es, andere Formen von Machtquellen und Machtausübung transparent werden zu lassen. Das gilt auch für die Theologie, beispielsweise für Lehrveranstaltungen, in denen das Thema jedenfalls nach meinen Eindrücken lange Zeit ein Randthema war.
BS: Ich schließe mich hier Andreas an und ergänze: Der Synodale Weg bearbeitet die Defizite kirchlicher Machtordnung im Wesentlichen durch Instrumente der organisationalen Machtverteilung und -kontrolle. Das ist richtig und mehr als nötig. Was durch das Kolloquium in den Blick trat, sind Formen von Macht, die jenseits des gut Sichtbaren liegen; also jene Konstellationen von Macht, die Entscheidungsfindungen und Schicksale beeinflussen, ohne dass gleich ein Amt dahintersteht. Konkret geht es um die Macht von Beziehungen, Geheimnissen oder Vorbildern, die unser Handeln prägen. Wir haben gelernt, dass wir auch dafür sensibel werden müssen. Da geht es weniger um die nötigen Reformen, die Partizipation oder Leitungsverantwortung betreffen, sondern um Kulturentwicklung und Professionalisierung.
BS: Wir haben uns schweren Herzens dazu entschieden, das ursprünglich präsentisch geplante Kolloquium digital stattfinden zu lassen. Mittlerweile ist klar, dass solche Formate echte körperliche Präsenz nicht ersetzen können, weil doch viel vom Gegenüber verloren geht. Uns hat sehr gefreut, dass das der Stimmung auf dem Kolloquium keinen Abbruch getan hat. Im Gegenteil: Die Teilnehmer:innen des Kolloquiums haben nicht nur fachlich, sondern auch menschlich brilliert. Die Atmosphäre war durchgängig geprägt von Respekt und Kollegialität – und herzlich gelacht haben wir auch immer mal wieder.
Prof. Andreas Henkelmann & Björn Szymanowski