Kirchenmitgliedschaft: Bindungs– und Austrittsmotive
Sekundärstudie zu Kirchenaustritt und Faktoren der Bleibewahrscheinlichkeit
Kurzdiagnose: Auf welche Herausforderung reagiert das Projekt?
Die Zahl der Kirchenmitgliederinnen und -mitglieder ist schon seit Jahrzehnten rückläufig; eine Regression der Austrittszahlen ist nicht erkennbar. Auch das Bistum Essen ist davon betrof-fen. Seit 2010 werden Fälle sexualisierter Gewalt in der Kirche dann erstmals in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Unter diesem Eindruck hat das Bistum Essen 2011 einen Dialogpro-zess gestartet, der im Jahre 2013 zur Formulierung eines diözesanen Zukunftsbildes geführt hat. Ein wichtiges Element dieses Zukunftsbildes ist ein Bündel von insgesamt 20 Zukunfts-bild-Projekten, die den seit 2015 initiierten Pfarreientwicklungsprozess flankieren und wesent-liche Implikate des Zukunftsbildes als Leuchtturmprojekte umsetzen sollen. Eines der Zu-kunftsbild-Projekte widmet sich der Frage, wie man die Zahl der Kirchenaustritte senkt. Um diese Frage zu beantworten, hat das Bistum Essen im Sommer 2016 einen Forschungsauf-trag an das zap und zwei weitere Forschungseinrichtungen vergeben.
Kooperationspartner: Bistum Essen Laufzeit: August 2016 – März 2018
Projektbeschreibung
Wie ist man das Projekt angegangen?
Das vom Bistum Essen initiierte Projekt ist in drei Teile unterteilt, die sukzessive aufeinander aufbauen und mit denen jeweils eines der drei Forschungsteams betraut wurde: eine Meta-Studie zur Kirchenmitgliedschaft, eine empirische Erweiterung durch eine qualitative Erhebung und eine systematisch-theologische Reflexion der Erkenntnisse. Das zap übernahm die Anfertigung der Meta-Studie. Zwar liegen für den deutschen katholischen Raum – noch mehr für den evangelischen – eine ganze Reihe von Studien vor, die sich mit Kirchenbindung und -mitgliedschaft beschäftigen. Diese besitzen allerdings mehrheitlich einen regionalen Charakter oder engen thematischen Bezug. Eine Synopse, die die Vielzahl der bisher erschienenen Studien in elementare Perspektiven verdichtet, fehlte zum Zeitpunkt des Projektbeginns gänzlich.
Welche Arbeits-Phasen hat das Projekt durchlaufen?
Mithilfe einer induktiven Auswertungsmethode hat das Forschungsteam des zap insgesamt 32 einschlägige Studien analysiert, um die Zusammenhänge kirchlicher Bindung besser verstehen und einordnen zu können. Dazu wurden die zahlreichen Studien sukzessive gesichtet und zentrale Themen wie Motive der Kirchenmitgliedschaft in vorläufige Kategorien überführt. Durch die Untersuchung weiterer Studien verfeinerte sich das Kategorienraster. Im Laufe der Untersuchung haben sich so sieben Dimensionen herauskristallisiert, die das Datenmaterial strukturieren und den maßgeblichen Ertrag der Studie darstellen. Diese sieben „Dimensionen der Kirchenbindung“ sind in weitere Unterkategorien unterteilt und bieten so ein geeignetes Raster, um das Phänomen Kirchenbindung in all seinen verschiedenen Facetten zu betrachten und relevante Stellschrauben zu identifizieren. Auf diese Weise können bindungskritische Elemente erkannt und gegebenenfalls bearbeitet werden. Auf den Erkenntnissen der Studie ruhen die beiden übrigen Forschungsprojekte.
Welche Ereignisse waren im Projektverlauf wichtig?
Das Einzelprojekt des zap war eng in das Gesamtprojekt eingebunden. Neben regelmäßigen Treffen mit der Steuerungsgruppe und den Forschungsteams ist hier insbesondere auf das „Expertenhearing“ zu verweisen. Dort sind die Forschungsteams mit Fachleuten aus Kirche, Theologie, Wirtschaft und von Non-Profit-Organisationen über ihre Ergebnisse in den Austausch gekommen und haben auf dieser Basis gemeinsam Handlungsempfehlungen für das Bistum Essen entwickelt.
Welche Ergebnisse sind im Projekt entstanden?
Aus dem Projekt ist in Kooperation mit den anderen Forschungsteams eine umfangreiche Studie erschienen, die von Mitgliedern der diözesanen Steuerungsgruppe publiziert worden ist:
Markus Etscheid-Stams / Regina Laudage-Kleeberg / Thomas Rünker (Hg.): Kirchenaustritt – oder nicht? Wie Kirche sich verändern muss, Freiburg im Breisgau 2018.
Abgeschlossen wurde das Projekt durch zwei Tagungen. Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen werden seit 2018 im Bistum Essen sukzessive im Rahmen der drei Handlungsfelder „Qualität der Pastoral“, „Mitglieder-Management“ und „Image und Identität der Kirche“ implementiert.
Wo kann man sich über die (Teil)Ergebnisse informieren?
Die Ergebnisse der Studie des zap finden sich in dem aus dem diözesanen Gesamtprojekt hervorgegangenen Sammelband:
Björn Szymanowski / Benedikt Jürgens / Matthias Sellmann: Dimensionen der Kirchenbindung. Meta-Studie, in: Markus Etscheid-Stams / Regina Laudage-Kleeberg / Thomas Rünker (Hg.): Kirchenaustritt – oder nicht? Wie Kirche sich verändern muss, Freiburg im Breisgau 2018, S. 57-124.
Einen Überblick über ausgewählte Ergebnisse sind in einem Interview zu finden, das dem folgenden Link zu entnehmen ist:
Unter folgenden Links kann man sich über die Zukunftsbild-Projekte und das Projekt zur Kirchenmitgliedschaft informieren:
Was sind die zentralen Learnings im Projekt, bezogen auf die Ausgangsfrage?
Das Projekt hat auf die steigende Zahl von Kirchenaustritten reagiert und einige weitreichende Erkenntnisgewinne mit Blick auf den kirchlichen Handlungsbedarf generiert. Von grundlegen-der Relevanz ist dabei die Beobachtung, dass Kirchenbindung von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren beeinflusst wird. Monokausale Erklärungsmodelle wie etwa der Verweis auf die negative Wirkung von Zölibat oder Kirchensteuer auf die Kirchenbindung lassen sich so nicht aufrechterhalten. Im Gegenteil erweisen diese sich im Letzten oftmals nur als vorder-gründige Begründungshorizonte eines Kirchenaustrittes. Im Hintergrund eines Austritts stehen in der Regel langjährige Entfremdungsprozesse, deren eigentliche Ursache in einem zunehmenden Verlust subjektiver Relevanz von Kirche liegt. Die “sieben Dimensionen der Kirchenbindung", die sich im Zuge der Analyse herauskristallisiert haben, ermöglichen die Bestimmung der Effektgröße unterschiedlicher Einflussfaktoren auf die Kirchenbindung. Von außerordentlicher Bedeutung haben sich etwa insbesondere das sozialkaritative Engagement der Kirche und die Feier von Kasualien erwiesen. Als kirchliche Handlungsfelder, die auch Menschen außerhalb der klassischen Milieus erreichen und überdies häufig positiv zur Kirchenbindung beitragen, gehören sie ins Zentrum der kirchlichen Aufmerksamkeit.