Die Vergrößerung der pastoralen Räume in den Diözesen des deutschen organisierten Katholizismus hat zu einem erheblichen Anpassungsdruck auf die Steuerungs- und Moderationsmodelle durch die pastoralen Hauptberuflichen geführt. Die überkommenen Modelle der ‚Ortsgemeinde‘, der ‚Pfarrfamilie‘ oder der ‚Gemeinschaft von Gemeinden‘ scheinen auf lokale Interaktivität angelegt, deren Erlebnis durch die Vergrößerung und Verflüssigung der Gemeindegrenzen innerhalb der sog. ‚Großpfarrei‘ erschwert wird. Umgekehrt erscheinen die Zuweisungen des erfahrbaren Regionalraumes in der Form der ‚Filialkirche‘, des ‚Pfarrsprengels‘ oder des ‚Sektors‘ als eher technokratische Figuren, die keine oder sogar antagonistische Identifizierung bei den Gläubigen auslösen.
Für die örtlichen Pastoralteams ist dies eine schwierige Situation, da sie gerade durch die Vergrößerung ihres Verantwortungsbereiches zu intensivierter und vor Ort erlebbarer Leitung genötigt sind, hierzu aber keine adäquat funktionale wie theologisch überzeugende Steuerungsphilosophie lernen konnten.
Als bisher pastoralplanerisch weitgehend unerprobtes Modell steht die soziologische Netzwerktheorie im Raum. Das Projekt setzt auf dem hier bereits erreichten Konzeptionsniveau an und erbringt in seiner Grundlagenforschung den Import der soziologischen Netzwerkforschung in die Pastoralplanung sowie in die kirchenrechtlich möglichen Pfarrorganisationen. Das Projekt hat außerdem zum Ziel, die Moderationsidee des pastoralen Netzwerkes auf die Weiterbildung von Pastoralteams sowie auf mögliche Visualisierungs-Tools hin zu präzisieren.
Kooperationspartner: Erzbistum Paderborn
Laufzeit: Februar 2014 – Juli 2019
Projektleitung: Miriam Zimmer, M.A.
Die Kooperationspartner*innen erforschten und entwickelten, wie sozialräumliche Netzwerke verstanden und gestaltet werden können:
Bisherige Publikationen in diesem Bereich arbeiten oft mit einem eher metaphorischen Netzwerkbegriff, konkrete analytische Werkzeuge und praktische Handlungsanleitungen aber fehlen. Gerade im kirchlichen Kontext wird der Begriff des Netzwerkes eher metaphorisch verwendet, indem man Erwartungen von mehr Pluralität, Dezentralität, Mobilität, Flexibilität, Innovation und Kreativität an ihn knüpft. Was Netzwerke in Kirche überhaupt sind und wie man sie konkret gestaltet, blieb jedoch bisher im Dunkeln.
In unserem Forschungsprojekt untersuchten wir daher mit Hilfe zweier empirischer Fallstudien konkrete, implizite und thematische Netzwerke professioneller Akteur*innen zum Thema „Arbeit mit kranken Menschen“ im Sauerland und „Lebenskönnerschaft“ im nördlichen Ruhrgebiet.
Die Ergebnisse der Studien wurden wiederum mit den Vertreter*innen vor
Ort diskutiert. Mit den kirchlichen Mitarbeiter*innen der dortigen Pfarreien wurden daraufhin verschiedene Formate und Ideen getestet, um die Vertreter*innen unterschiedlicher Organisationen zu bestimmten Themen zu aktivieren, zu koordinieren und Interessen auszuhandeln. Gleichzeitig wurde ausprobiert, wie innerhalb dieses Netzwerkes Pluralität, Dezentralität, Mobilität und Flexibilität und darüber hinaus Innovation und Kreativität hergestellt und erhalten werden können.
Die wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnisse wurden reflektiert und publiziert. Darüber hinaus entwickelten wir Tools zum Erlernen und Anwenden sozialräumlicher Netzwerkkompetenzen.
Konzepte:
Tools:
Die beiden wissenschaftlichen Studien und die weiteren Erkenntnisse der Modellräume verweisen auf eine neue Art, pastorale Arbeit zu denken und pastorale Ziele zu erreichen.
Netzwerkarbeit ermöglicht Ressourcen in Pastoralen Räumen fokussiert und wirksam einzusetzen.
In der Zusammenarbeit mit anderen professionellen Akteur*innen, sei es im losen Austausch oder in festen Partnerschaften, erreichen relevante Themen im Sozialraum eine breite Resonanz und Kraft. Ressourcen und Expertisen können gebündelt, Informationen schnell ausgetauscht, Kompetenzen adressiert und Handeln koordiniert auf konkrete Ziele ausgerichtet werden. Ressourcen können hier sukzessive und flexibel eingesetzt werden. Zwischenergebnisse und Netzwerkdynamiken werden zwischen den Partner*innen immer wieder abgewogen und das individuelle Engagement angepasst. Das Abrufen der Resonanz auf Ideen und Projekte durch die Netzwerkpartner*innen ermöglicht, Erfolgsaussichten besser abzuschätzen. Auch bei dosiertem Ressourceneinsatz sorgt die Netzwerkarbeit von Anfang an für eine breite Sichtbarkeit und Resonanzräume für das Thema oder das Anliegen im Sozialraum und die beteiligten Akteur*innen.
Netzwerkarbeit schafft interorganisationale Sozialformen, die relevante und resonante Themen vor Ort identifizieren und bearbeiten.
Bei Netzwerkarbeit geht es eben nicht um die Umstrukturierung innerkirchlicher Hierarchien und Gremien, sondern um die wirksame interorganisationale Zusammenarbeit. Diese ist immer an übergeordneten Themen auszurichten, die für potentielle Partner*innen und vor allem den Sozialraum relevant sind. An der Resonanz zeigt sich, ob es für ein Thema eine breitere Basis gibt. Diese Formen der interorganisationalen Zusammenarbeit stellt für pastorale Räume die Chance dar, sich in gesellschaftlich relevante Themen aktiv einzubringen, die Kommune mitzugestalten und als verlässlicher, engagierte(r) Partner*in wahrgenommen zu werden.
Netzwerkarbeit löst die Dualität von Kirche und Welt auf und schafft ein dialogisches Profil von Kirche.
In der Zusammenarbeit mit anderen professionellen Akteur*innen liegt ein zentrales Augenmerk auf Kommunikation und eben nicht Abgrenzung und Beobachtung. Ziel dieser Kommunikation ist immer der Abwägungsprozess: Gibt es gemeinsame Ziele für den Sozialraum und wie kann man ihnen näher kommen? Hierfür müssen die eigenen Ziele und Möglichkeiten geklärt und kommuniziert werden. Kirche kann so im Raum agieren, ohne ihn zu besetzen oder zu beanspruchen. Sie wartet nicht an ihren Orten, dass die Menschen kommen, sondern geht dorthin, wo das Leben stattfindet und tritt dort automatisch in Interaktion mit unterschiedlichsten Organisationen, Strukturen und Personen, um gemeinsam an den dort relevanten Themen zu arbeiten.
Durch die Arbeit in sozialräumlichen Netzwerken steht Kirche nicht (mehr) in Konkurrenz zu anderen Organisationen im Sozialraum, sondern wird eine Akteurin unter und mit anderen im säkularen Kontext. In Begegnungen, Kontakten und Kooperationen kann sie ihre Botschaft kommunizieren und stark machen. Damit verändert sich im Wesentlichen die Berufsrolle kirchlicher Hauptamtlicher.
Pastorale Mitarbeiter*innen werden in der Zusammenarbeit in Netzwerken als Expert*innen für ihren Arbeitsbereich wahrgenommen, die sich selbstverständlich mit Vertreter*innen anderer Organisationen thematisch abstimmen, koordinieren und in ihrer Expertise angefragt werden. Da sie dies mit einem christlichen Interesse tun, tragen sie diese Botschaft damit auch in andere Kontexte hinein. Die Rolle kirchlicher Akteur*innen wird damit zur Vermittler*in, Deuter*in, Prophet*in, Versteher*in, Fürsprecher*in, Anstifter*in, Einmischer*in. Dabei können sie sich ebenso auf die Expertise anderer Akteur*innen verlassen und diese aktiv für die gemeinsamen Ziele einbeziehen. Dies bedeutet eine wesentliche Entlastung pastoraler Mitarbeiter*innen, die in der klassischen Arbeit oft berichten, für alles verantwortlich zu sein und alles können zu müssen.
Weitergehende Erklärungen finden sich im dazugehörigen Kursbuch „Netzwerkarbeit konkret! Kompetent und wirksam im Sozialraum agieren“. Dies können Sie formlos für eine Schutzgebühr von 20€ beim zap (bei manja.kleffmann@rub.de) bestellen.
DAS KURSBUCH FÜR TRAINER:INNEN
BEFÄHIGT
zu einem zielgruppen-, anliegen- und formatbezogenen Denken und Handeln in Netzwerkdynamiken.
VERMITTELT
einen Zugang zur Arbeitsweise in Netzwerkdynamiken.
BIETET
theoretischen Input, praktische Konzepte und konkrete Übungen und Denkanstöße. Die realen Kontexte der Teilnehmenden werden in den Blick genommen und die Anforderungen in ihren Arbeitsfeldern mit Hilfe konkreter Methoden und Arbeitshilfen direkt bearbeitet.
Miriam Zimmer / Barbara Hucht / Ludger Drebber
Kursbuch: Netzwerkarbeit konkret!
Kompetent und wirksam im Sozialraum agieren
108 Seiten & Arbeitsblätter, Materialien sowie Präsentationsfolien (online)
Print (20 €, zzgl. Versand 3€ )
EBook (pdf) (15 €)