Biografieforschung zu religiöser Konversion als Erkenntnisquelle für potenzielle neue Gemeindepraxen
Die Erwachsenentaufe stellt religionswissenschaftlich als bewusster Akt der Konstitution einer religiösen Zugehörigkeit eine Form religiöser Konversion im Sinne der dargestellten Theorien dar. Die meistverbreiteten Gründe für eine Taufe im Erwachsenenalter sind zurzeit die Geburt eines Kindes, die Übernahme einer Patenschaft oder eine anstehende Hochzeit, wie sich an jahreszeitlichen Schwankungen festmachen lässt. In den neuen Bundesländern ist der Kontext des Kircheneintritts durch die historische und politische Genese einer heute überwiegend religiös indifferenten Kultur geprägt. Taufe ist hier die bewusste Entscheidung für die Zugehörigkeit zum Christentum, die keine traditionelle Anknüpfung, sondern eine Neuentdeckung religiöser Bedürfnisse voraussetzt. Die Zahl der Erwachseneneintritte in der evangelischen Kirche ist vier Mal höher als in der katholischen.
Kooperationspartner: Bistum Dresden – Meißen
Laufzeit: 10/2018 – 10/2019
Ziel des Projekts ist es einerseits, gemäß der Motivationen und Bedürfnisse der Neugetauften, Maximen religiöser Angebote, Ausdrucksformen und Kommunikationsstrategien zu entwickeln, die eine Beheimatung der neuen Mitglieder in der Katholischen Kirche in bestmöglicher Weise befördern. Andererseits stehen die Neugetauften selbst als Ressource kirchlicher Innovation und nicht als reine Konsumenten im Fokus. Die Frage lautet daher auch, in welcher Weise die Konvertiten Kirche als lernende Organisation bereichern und erweitern können.
Unter der Maßgabe, dass das Forschungsvorhaben diesen doppelten Zweck erfüllen soll, leitet sich aus dem Stand religionswissenschaftlicher Theorie zum Thema das folgende Verständnis von Konversion ab: Wir betrachten den Neugetauften als aktiven Gestalter seiner religiösen Biographie und seines Sinnsystems, das die bewusste Entscheidung für die Kirche als religiösem Anbieter einschließt. Von besonderem Interesse sind die Motivation zur Konversion sowie das subjektive Erleben des Prozesses, hier vor allem jener Phasen, auf die Kirche als Organisation Einfluss nehmen kann. Im Hintergrund steht dabei die individuelle Bewertung der Passung zwischen der bestehenden kirchlichen Gruppenkultur und den Eigenschaften des Konvertiten.
Geleitet wird die Arbeit durch die folgenden Forschungsfragen:
Als Zugang zum individuellen Deuten und Erleben bieten sich die Konversionserzählungen der Akteure an. Auf Grundlage der Transkripte von etwa zehn biographisch narrativen Interviews mit Neugetauften, deren Teilnehmer durch theoretisches Sampling ausgewählt werden, erfolgt die Auswertung gemäß dem Konzept der Grounded Theory (mittels MAXQDA). Ziel ist die möglichst vollständige Identifizierung aller Motivations- bzw. Bedürfnistypen sowie die die Analyse der Erwartungen und ihrer Funktionsweise.
Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse werden im Rahmen einer kreativen Entwurfsphase zusammen mit den Verantwortlichen im Bistum Dresden Prototypen religiöser Angebote zu potenziellen „katholischen Beheimatungen“ entworfen, die etwa bestimmte Gemeindezugehörigkeitsformen, spirituelle Praxisformate, Inspirationsimpulse, Exerzitienformen sowie jeweils die zugehörigen Kommunikationsmaterialien uvm. beinhalten können. Die produzierten Prototypen werden im Rahmen von Fokusgruppeninterviews evaluiert. Die Gruppen setzen sich aus Neugetauften zusammen, die auf diese Weise aktiv an der Auswahl, Bewertung und Weiterentwicklung der kirchlichen Angebote beteiligt werden und durch ihre soziodemographischen Profile, lebensweltlichen Erfahrungen, Milieuzugehörigkeit usw. einerseits selbst zu Ressourcen kirchlicher Entwicklung werden. Andererseits profitieren sie als religiöse Akteure unmittelbar durch die Möglichkeit der Teilnahme an den miterarbeiteten Angeboten, deren Gestaltung ihrer religiösen Selbstermächtigung und spirituellen Entwicklung dient.
Die regelmäßigen Treffen mit der Projektgruppe, die das Bistum zum Thema Erwachsenentaufe eingerichtet hat, sowie die Gelegenheit, einem Zusammentreffen zwischen Taufbewerbern und Bischof Timmerevers beizuwohnen, waren bisher die wichtigsten Ereignisse im Projektverlauf.
Publikation der Ergebnisse wird in Form eines zap-Workingpapers nach Abschluss des Projekts erfolgen; ein bislang interner Zwischenbericht zur Auswertung der Interviews liegt bereits vor.
Es bestehen sowohl typische Gründe, welche in den Menschen den Wunsch auslösen, sich taufen zu lassen, als auch typische Muster religiöser Motivation unter den Erwachsengetauften. Die häufigsten Wege zum Glauben beginnen etwa mit einer der eigentlichen Mitgliedschaft vorausgehenden kirchlichen Vergemeinschaftung z.B. durch familiäre Vernetzung, einen kirchlichen Arbeitsplatz oder ein Kind, das eine kirchliche Kita besucht; einem herausragenden religiösen, intellektuellen oder spirituellen Erlebnis bzw. Ereignis, für das sich die Person eine institutionelle Einordnung und Semantisierung wünscht; oder einer individuellen Krisenerfahrungen, die das Bedürfnis nach einer Einordnung in ein religiöses Sinnsystem weckt.
Die Typen erwachsengetaufter Christen, die Spirituelle, der engagierte Angekommene und der familiär Angebundene, zeigen unterschiedliche Erwartungen an die Kirche. Allgemein lassen sich jedoch die folgenden Erkenntnisse für die Rolle der Kirche als Organisation im Taufprozess festhalten: